Die Multiformträger. Anmerkungen zur Anzugordnung in Afghanistan

Uniform: „französisch uniforme < lateinisch uniformis = ein-, gleichförmig, zu: unus = einer, ein Einziger und forma = Form“ (Duden.de)

Allgemeines

„Es ist Aufgabe aller Vorgesetzten, die Einhaltung der Anzugordnung durchzusetzen.“ (ZDv 37/10, Nr. 103).

Die Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 37/10 „Anzugordnung für die Soldaten der Bundeswehr“ sollte jeder Soldatin und jedem Soldaten seit frühester Dienstzeit ein Begriff sein. Bereits in den ersten Tagen der Grundausbildung gibt es kaum ein wichtigeres Thema, als der richtige Sitz der Uniform und das korrekte militärische Auftreten. Wie es auf der Erlassseite der Vorschrift heißt, bestimmt sie „die Uniform der Soldaten, legt die Anzugarten und Kennzeichnungen fest und regelt deren Trageweise“. Nun sind wir als moderne Armee im Einsatz pragmatisch genug, eine solche Vorschrift eher als Richtlinie auszulegen und sie entsprechend weit zu interpretieren. Unter Rücksichtnahme auf fordernde Einsätze und vielfältige Bedrohungsszenarien ein Ansatz, den viele Vorgesetzte dankbarer Weise dulden und der trotz aller Pflicht zum Befolgen der ZDv durchaus vernünftig erscheint. Die Vorschrift lässt darüber hinaus explizit bestimmt Ausnahmen zu. Unter anderem wird darauf hingewiesen, dass die Inspekteure der Organisationsbereiche Einzelregelungen für ihren unterstellten Bereich erlassen können und damit teilstreitkrafteigentümliche Besonderheiten zugestanden werden. Ein riesiger Markt von zivilen Anbietern verdient sich inzwischen an den in NATO-Shops oder Katalogen angebotenen Alternativ- oder Ergänzungsartikeln zur Uniform eine goldene Nase. Als der ehemalige Befehlshaber Heeresführungskommando Generalleutnant Wolfang Otto am 30. Mai 2008 in einem Kommandeurbrief (Nr. 6) monierte, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten im Gefechtsdienst von »marodierenden Banden« kaum noch zu unterscheiden seien, war die Aufregung groß. Aber wie schlimm ist es denn nun wirklich um die deutsche Uniform im Ausland bestellt? Im Folgenden wird mein persönlicher Eindruck über die derzeitige Situation in Afghanistan wiedergegeben und den in der Ausrüstungsdebatte angeführten Fakten gegenübergestellt.

Bilder aus Afghanistan

„Jedes Tragen nicht dieser Dienstvorschrift entsprechender Uniformteile, das Anlegen nicht genehmigter oder in Form und Farbe abweichender Abzeichen sowie zweckwidrige Verwendung bundeswehreigener Bekleidung ist unzulässig.“ (ZDv 37/10, Nr. 124)

Im Gegensatz zu obigem Zitat findet sich im Erscheinungsbild einiger Kontingentangehöriger der Schutztruppe ISAF in Afghanistan Erstaunliches: Bei vielen Soldatinnen und Soldaten hat sich die Mentalität entwickelt, ihr Aussehen möglichst einzigartig und martialisch erscheinen zu lassen. Dies gilt definitiv für viele »Kämpfer«, aber auch im Mikrokosmos des sicheren Feldlagers scheint die eigene Wichtigkeit oft nur durch Selbstdarstellung als im Eisenregen gestählter Endzeitkrieger zu unterstreichen sein. Das beginnt mit dem dauerhaften Bekleiden mit farbigen Funktionsshirts, beschrifteten Breitbandlitzen und individuell »gepimpten« Waffen, geht über das selbstverständliche Tragen einer gegelten Haarhelm-Frisur, eines langen Rauschebartes sowie möglichst zahlreicher bunter Patches und endet beim gänzlichen Verzicht auf Hosengummis und echte Namensbänder. Der letzte Schrei sind zu einem Drittel hochgekrempelte Ärmel, Sportschuhe zum Feldanzug und unverschlossen getragene Smocks. Die Anzugordnung der Bundeswehr wird hier offenbar nicht nur ausgereizt, sondern regelrecht ad absurdum geführt. Die Verstärkungskräfte der Task Force 47 dienen hierbei vielen Kameradinnen und Kameraden als Vorbild – in diesem Falle leider als sehr Schlechtes. Eine diese Thematik aufgreifende PowerPoint-Präsentation mit dem treffenden Titel »Markierungssatz für Blödmannsgehilfen« aus Mazar-E-Sharif ist bundeswehrintern im Umlauf und bescheinigt den jeweiligen Disziplinarvorgesetzten – so überhaupt vorhanden – die absolute Inkompetenz. Die sensibilisierten Kommandeure kämpfen gegen Windmühlen und wehren sich mit einer Befehlsgebung, die wiederum alle Soldatinnen und Soldaten in Mitleidenschaft zieht. Nun kann sicher dagegen gehalten werden, dass in der Bundeswehr Ausrüstungs- und Fähigkeitslücken existieren und dem Einzelnen keine andere Möglichkeit bleibt, als auf Produkte des freien Marktes zurückzugreifen. Auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, bestätigt in seinem 53. Bericht, dass „seit Jahren beanstandete[…] Probleme hinsichtlich persönlicher Ausrüstung nicht zufriedenstellend gelöst“ seien (S. 18). In der Tat haben sich viele Soldatinnen und Soldaten meiner Kompanie vor ihrer Verlegung nach Afghanistan privat Ausrüstung im Wert zwischen 500 und 1.000 Euro zugelegt. Im Realitätsabgleich vor Ort haben sich dabei zumindest die Beschaffung von Combat-Shirts, Helmen für Fahrzeugbesatzungen und Tragegeschirre als überaus zweckmäßig erwiesen. Vieles war allerdings überraschenderweise auch vor Ort: Gehörschutz, Smocks, Pistolenholster, Kälteschutzbekleidung, ballistische Splitterschutzbrillen und Feldhosen mit ausreichend großen Taschen wurden für die Angehörigen der Kampfkompanien bereit gehalten und in ausreichender Anzahl zur Verfügung gestellt. Ein undifferenziertes Schimpfen auf »die da oben« und »Bürostuhlakrobaten ohne Bezug zur Einsatzrealität« verbietet sich daher in der Ausrüstungsdebatte. Die persönliche Ausrüstung und Bekleidung der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Afghanistan ist besser als ihr Ruf.

Aspekte zur Problemlösung

„Die Anzugordnung ist Teil der soldatischen Ordnung und trägt zur Identität und Verhaltenssicherheit der Soldaten bei. Ein vorbildliches Erscheinungsbild der Truppe ist Ausdruck ihres Selbstverständnisses.“ (ZDv 37/10, Nr. 101)

Generalleutnant Wolfgang Otto hatte recht, als er in seinem Kommandeurbrief feststellte, dass es im Einsatz „kaum eine Nation [gibt], deren Soldaten so individuell gekleidet auftreten wie unsere Frauen und Männer.“ Die häufig dagegen gehaltene Argumentation, dass die Ausrüstung und Bekleidung unserer Verbündeten in Afghanistan grundsätzlich besser als unsere eigene sei, läuft spätestens ins Leere, wenn man, wie wir, gemeinsam mit Belgiern oder Holländern operiert. Selbst bei Amerikanern gibt es nur wenige Uniform- oder Ausrüstungsteile, auf die wir neidisch zu sein hätten. Etwas weniger Individualismus und etwas mehr Reflexionsvermögen sind beim Tragen unserer Uniform auch im Ausland angebracht. Sie ist tatsächlich ein Spiegel der eigenen Disziplin und dies wird auch von unseren Verbündeten so wahrgenommen. Vom strikten Gleichheitsgrundsatz sollten diejenigen, die tagtäglich außerhalb der Feldlager patrouillieren zumindest während der Ausführung ihrer Aufträge weitgehend ausgenommen sein. Hier hat der Kompaniechef auch gemäß unserer Dienstvorschrift Spielraum: „Der Disziplinarvorgesetzte darf vorübergehende Abweichungen von einer Anzugart aus Gründen der Sicherheit, Gesundheit und Zweckmäßigkeit anordnen.“ (ZDv 37/10, Nr. 204). Wichtig ist aber auch hier, beim Tragen von Patches usw. den gesunden Menschenverstand einzuschalten. Zum einen weist ein gewisses Maß an Einheitlichkeit den eigenen völkerrechtlichen Kombattantenstatus aus. Auch sind durch die Bundeswehr zertifizierte Bekleidungsstücke i.d.R. feuerfest und bieten dadurch bspw. bei Ansprengungen durch Improvised Explosive Devices (IEDs) einen besseren Schutz. Vor allem aber läuft all´ das, was in der Bevölkerung den Eindruck von ungezügelter Kriegslust, Besatzermentalität oder unangemessener Arroganz erweckt, dem »Population Centric Approach« und alldem, was wir in Afghanistan voranbringen, zuwider. Das Tragen von Patches mit diabolischen Smileys, Pork Eating Crusaders- oder Fuckface-Aufdrucken und Mitteilungen darüber, wie einfach Heckler & Koch Probleme lösen kann, sind vielleicht im engeren Kreise noch amüsant. Sobald der oder die strategische Hauptgefreite allerdings die Bundesrepublik Deutschland nach außen vertritt, können sie von politischer Tragweite sein und sind daher – mit Verlaub gesagt – mehr als dämlich! Es tut sich was im Rahmen der »Selbsteinkleidung« von Bundeswehrangehörigen: Bereits in der Spiegel-Ausgabe vom 14.11.2011 erschien ein Beitrag mit dem Titel „Bedrohliche Druckknöpfe“, in dem die Autorin neben aller Kritik auch darauf hinweist, dass die Bundeswehr sich dem »Modernisierungsdruck« beugt und durch eine Arbeitsgruppe Ausrüstungsgegenstände prüfen lässt, die Soldatinnen und Soldaten als Alternative nutzen und nach individuellen Wünschen auswählen können (vgl. S. 31). Auch Königshaus bezieht sich in seinem 53. Jahresbericht auf den vom Bundesministerium der Verteidigung angekündigten »zertifizierten Warenkorb«, der zu einer Flexibilisierung der Ausrüstungssituation führen soll (vgl. S. 18). In den letzten Monaten trat das Thema wieder in den Hintergrund, vermutlich auch in der geringer werdenden Intensität des Afghanistan-Einsatzes für unsere Streitkräfte begründet.

Fazit Zwei Fakten sind nicht zu bestreiten: (a) Es existiert eine Vorschrift der Bundeswehr, in der die Trageweise und die Anzugarten der soldatischen Uniform verbindlich festgelegt sind. (b) In der Bundeswehr gibt es Defizite in der persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten, gerade unter den Bedingungen von Auslandseinsätzen. Bundeswehrintern wird dieses Dilemma dadurch gelöst, dass die meisten Vorgesetzten sich im Einsatz loyal nach unten verhalten und zweckmäßige Abweichungen vom vorgeschriebenen Anzug tolerieren. Diese Toleranz wird von vielen Soldatinnen und Soldaten ausgenutzt und lassen die Grenze zwischen Zweckmäßigkeit und modischer Spielerei verschwimmen. Dies wiederum sorgt in vielen Bereichen für Gereiztheit von Vorgesetzten und Befehlen, die auch zweckmäßige Anzugabweichungen stark einschränken. Kein Teufelskreis, denn durch eine vernünftige Auslegung der von oben gewährten Freiheiten lässt sich das Problem, so schwammig es erscheinen mag und trotz einiger unterschiedlicher Vorstellungen, recht einfach lösen. Die Zauberformel ist hier, wie so oft in der Bundeswehr, die Nutzung des gesunden Menschenverstandes.

 

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Autor: Marcel Bohnert

erschienen in: Der Panzergrenadier, 34, Seiten 35 bis 37

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