Auf Patrouille in Kunduz. Ein schweißtreibender Auftrag

Es ist früher Morgen in der Provinz KUNDUZ. Die Sonne kämpft sich langsam durch die Dunstglocke des QARA BATUR-Gebirges und in den verstaubten Straßenzügen des Unruhedistrikts CHAHAR DARREH erwacht das Leben. Motorenheulen durchbricht die Stille. Ich sitze auf einem geschützten Mannschaftstransporter vom Typ DINGO und blicke auf meine digitale Karte. Nur noch einen Kilometer bis zum Absitzpunkt. Ich bin mit meiner Kompanie unterwegs nach NAWABAD, einem Ort, in dem die internationale Schutztruppe bisher nur sehr selten patrouilliert ist. Unser Marschband besteht aus 25 schwer bewaffneten Gefechtsfahrzeugen und schiebt sich über die Westplatte, eine Wüstenregion am Rande der Ortschaft. Vor mir fahren zwei Schützenpanzer MARDER. Sie wirbeln Staub auf und erschweren mir die Sicht. Plötzlich stoppen die Fahrzeuge. „Wir sind da“, funkt der Zugführer Bravo, der die Patrouille heute Morgen führt, „Sicherungsbereiche einnehmen, Absitzen und Formation für Kampfmittelaufklärungsverfahren einnehmen!“ Ich bleibe auf meinem DINGO und sehe, wie die Soldatinnen und Soldaten den Boden absuchend um ihre Fahrzeuge kreisen. Mein Richtschütze beobachtet derweil eine Persongruppe, die einige hundert Meter von uns entfernt eine Eselkarre belädt. „Keine Auffälligkeiten“ meldet er nach einer Weile. Unterdessen beginnen an der Spitze der Formation der EOD, der EOC und Kräfte der Pioniere unter auf- und abgesessener Sicherung mit dem Absuchen der Zufahrtsstraße zum Ort. Bereits einen Tag zuvor hatte die Besatzung des Brückenlegepanzers BIBER unter Infanterieschutz an einem ziemlich baufällig wirkenden Flussübergang ihre Panzerschnellbrücke verlegt. Dadurch können später auch MARDER und FUCHS problemlos Überwachungsstellung beziehen und im Bedarf als Kompaniereserve zur Unterstützung der abgesessenen Kräfte in der Ortschaft zum Einsatz gelangen.

Nach einiger Zeit bahnt sich ein ferngesteuertes Manipulatorfahrzeug des deutschen Route Clearance Systems seinen Weg entlang der gepanzerten Fahrzeuge zu einer IED(Improvised Explosive Device)-Verdachtsfläche. Metalldetektoren haben an einer Engstelle angeschlagen und lassen die suchenden Kräfte eine Sprengfalle vermuten. Die Soldatinnen und Soldaten schauen erstaunt und interessiert – es ist das erste Mal, dass das Manipulatorfahrzeug in der Kompanie zum Einsatz gelangt. Seine Schaufel gräbt sich an einer mit Sprühfarbe markierten Stelle in den Boden. Nichts. Nach zehn Minuten kommt der Führer des EOD-Trupps an mein Fahrzeug: „Bis auf die hier haben wir nichts gefunden“ sagt er und drückt mir grinsend zwei Hufeisen in die Hand. „Naja“, sage ich, „die bringen uns hoffentlich wenigstens Glück“ und lasse sie an die Front meines DINGOS hängen. Der Kampfmittelräumer begibt sich wieder an die Spitze der Suchformation. In der unmenschlichen Hitze sucht er mit seinem Trupp weiter nach Sprengfallen. Sondiert den Boden. Gräbt mit einer Spitzhacke. Lässt den Manipulator graben. Pausiert im Schutz von Bäumen und Mauern am Straßenrand.

„Kampfmittelaufklärungsverfahren abgeschlossen“ funkt der Zugführer knapp zwei Stunden später, „Formation zur Patrouille einnehmen“. Ich klettere vom Fahrzeug. Mein Funker erscheint neben mir und reicht mir eine Flasche Wasser. „Trinken Sie, Herr Hauptmann“ sagt er. Schweiß rinnt über meine Stirn. Die Ausrüstung wiegt 30 kg. Schutzweste, Munitionsrucksack, Funkgeräte. Ohne genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen kann keiner die Patrouille durchhalten.

Der afghanische Kompaniechef erscheint mit seinem belgischen Mentor und wir gehen an einem zwischen den Fahrzeugen ausgebreiteten Luftbild von NAWABAD gemeinsam noch einmal den geplanten Patrouillenweg durch. 20 Soldaten der Afghanischen Armee (ANA) rücken mit uns gemeinsam in den Ort ein. Diesmal werden wir den Afghanen folgen. Die Ortschaft ist uns nicht bekannt und sie haben ein gutes Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung und mögliche Gefahren. Nach einigen Minuten Vorbereitung marschieren wir los. Die abgesessenen Panzergrenadiere meiner Kompanie werden durch Infanteristen der D/F-Brigade, Pioniere, Sanitäter und ein Joint Fire Support Team der Artillerie verstärkt. Der Mann vom EOC trägt Luftwaffenschwingen und der Führer meines Tactical CIMIC Teams ist Kapitänleutnant. Unabhängig von Organisationsbereich, Truppengattung oder Dienstgrad sind hier alle gleich gefährdet und belastet.

Wir passieren die ersten Lehmmauern, Hunde bellen und einige Kinder schauen neugierig aus ihren Lehmhütten. Über uns brummt eine Drohne, die regelmäßig Lageinformationen über Fahrzeug- und Personenbewegungen gibt, die für uns nicht einsehbar sind. Die Soldatinnen und Soldaten sind angespannt. Jeder beobachtet in den ihm zugewiesenen Bereich und sorgt dafür, dass sich der Patrouille nähernde Fahrzeuge und Personen überprüft werden. Eine halbe Stunde später sind wir am Marktplatz von NAWABAD. Es herrscht reges Treiben. Männer hocken im Schatten zusammen und Kinder spielen Fußball auf einem großen Platz vor der Schule. Ich begebe mich zu einer Runde älterer Männer vor einer Moschee, begrüße sie freundlich und beginne mich mit ihnen zu unterhalten. Ein Sprachmittler übersetzt. Es geht um Vieles: Elektrizität, Brunnen, Schulen, Sprengfallen und Taliban. Es kommen immer mehr Menschen hinzu und umringen unsere Gruppe. Tee wird serviert. Meine Scharfschützen haben den Bereich gesichert und beobachten jede auffällige Bewegung im Umkreis. Die Angst vor Selbstmordattentätern ist vor allem an öffentlichen Orten unser ständiger Begleiter. Im Trubel ist ein unerkanntes Annähern an unsere eigenen Kräfte leicht möglich und auffälliges Verhalten in der unübersichtlichen Menschenmenge nur schwer zu identifizieren. Eine größere Gruppe stellt sich auch immer als lohnendes Ziel für den Feind dar. Dennoch habe ich Helm und Schutzbrille abgenommen, um meine Bereitschaft zur Kommunikation zu signalisieren.

Plötzlich bricht ein Feuerstoß. Mein Puls schießt hoch. Alles schaut hinüber auf eine Straßenkreuzung, von der Rauch aufsteigt. „Entwarnung!“ ruft ein Soldat herüber. Ein Motoradfahrer hatte das Haltesignal eines afghanischen Sicherungssoldaten missachtet, worauf dieser einige Warnschüsse in die Luft abgegeben hatte. Ich bin beruhigt. Nach einer halben Stunde Gesprächsführung verabschieden wir uns herzlich und verspreche, demnächst häufiger mit meiner Einheit nach NAWABAD zu kommen.

Wir treten unseren Rückmarsch über einen anderen Weg an. Es ist schon häufiger vorgekommen, dass im Rücken der eigenen Kräfte Sprengfallen installiert wurden; deswegen versuchen wir unberechenbar zu bleiben. Das Thermometer zeigt inzwischen 40 Grad im Schatten an. Ich bin froh, als wir wieder an unseren Fahrzeugen sind und eine Stunde später gesund unseren Außenposten, das sog. Distrikthauptquartier (DHQ) KUNDUZ erreichen. Ein Feuergefecht der Scharfschützen gleich zu Beginn unseres Einsatzes und die Ansprengung einer Patrouille der Kompanie vor einigen Tagen sind noch immer präsent. Zudem haben wir bereits jetzt, etwa drei Monate vor Ende unseres Einsatzes, eine zweistellige Zahl von IED-Funden zu verzeichnen. Ich gehe zum Gefechtsstand und lege erschöpft die Ausrüstung ab. Hier sind wir sicher. Die Pionierkompanie der Task Force hat das DHQ zu einer regelrechten Festung ausgebaut und in der Dachstellung befindliche Wachposten beobachten rund um die Uhr das umliegende Gelände.

Die von der Patrouille zurückgekehrten Soldatinnen und Soldaten sind noch eine ganze Weile damit beschäftigt, technische Kontrollen an ihren Fahrzeugen und das Reinigen der Waffen durchzuführen. Ich trage derweil mit meinem Kompanieführungstrupp und dem S2-Offizier der Kompanie die Aufklärungsergebnisse zusammen. Diese werden wir an das Tacitcal Operations Center im Feldlager weitermelden. Die Informationen werden dort analysiert und im Abgleich mit anderen Quellen zu einem größeren Lagebild verdichtet.

Bereits zwei Stunden später ergeht der nächste Auftrag des Bataillons. Es geht wieder nach NAWABAD. Einwohner haben die Verbringung eines Sprengsatzes auf der Straße gemeldet, die wir heute in den Ort genutzt hatten. Ich markiere die Stelle auf meiner Handkarte und zitiere den EOD zu mir. Wir werden uns morgen darum kümmern. Der Zugführer des Alpha-Zuges betritt den Gefechtsstand. „Nabend Chef“, sagt er, „es kann losgehen. Die Jungs und Mädels sind abmarschbereit“. Er hat ein Nachtsichtgerät auf dem Helm und ein Infrarot-Knicklicht an seiner Schutzweste befestigt. Er wird seine Männer und Frauen auf eine Nachpatrouille führen. Sie verlassen das Tor in die Dunkelheit. Draußen ist es still geworden. Die Gebete des Muzins dringen in die Nacht. Nur das Brummen unserer Drohne scheint die Idylle zu stören. Aber nicht uns. Uns gibt dieses Brummen ein ungemein beruhigendes Gefühl. Ein Gefühl von Sicherheit. Ein wichtiges Gefühl im Distrikt CHAHAR DARREH.

 

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Autor: Marcel Bohnert

erschienen in: Pioniere, 6, 2012, Seiten 14 bis 16

http://www.bdpi.org/neues-aus-der-pioniertruppe/214-gemischte-patrouille-in-kunduz.html

 

 

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