Ein Einsatz, zwei Welten. Von »Drinnies« und »Draußies« in Afghanistan

„The gap between those who fight and those who support has never been wider" (David Bellavia, House to House, 2008, p. 276)

Prolog Anfang August 2011. Die Sonne kämpft sich langsam durch die Dunstglocke des Qara Batur-Gebirges und in den verstaubten Straßenzügen des in der Kunduz-Provinz befindlichen Distrikts Chahar Darreh erwacht allmählich das Leben. Es ist früher Morgen im Feldlager Kunduz. Plötzlich schrillt ein Tetrapol-Funkgerät. Der Zugführer des Bravo-Zuges der 2. Infanteriekompanie Task Force Kunduz (II/2011) springt aus dem Bett. „Alarm", sagt die Stimme am anderen Ende, „die Reserve muss raus." Der Zugführer weckt seine Männer und sprintet in das Tactical Operations Center (TOC), um Informationen über die aktuelle Lage abzugreifen. Unterdessen schmeißen die Soldaten des Bravo-Zuges ihre Schutzwesten über, greifen ihre Waffen und stürmen zu den Fahrzeugen. Die Motoren der Dingos heulen auf und rasen zum Ehrenhain, dem Platz am Eingang des Provincial Reconstruction Teams (PRT) Kunduz, an dem regelmäßig Patrouillen auffahren, bevor sie das Lager ins »Indianerland« verlassen. Auf dem Weg dorthin stellt sich ein Oberstabsfeldwebel mitten auf die Straße und verschränkt die Arme. Der erste Dingo weicht aus und kann vorbei ziehen, der zweite legt eine Vollbremsung hin und kommt vor dem Oberstabsfeldwebel zum Stehen. Die Beifahrertür fliegt auf: „Was soll das denn?", brüllt der Kommandant, „Sehen Sie zu, dass Sie da wegkommen!". „Hier gilt Schrittgeschwindigkeit!", entgegnet der Oberstabsfeldwebel.

Zum Thema Für die kämpfende Truppe hält sich das Verständnis für solcherlei Aktionen von Innendienstkriegern mit offensichtlichem Lagerkoller in überschaubaren Grenzen. In unserem fast siebenmonatigen Einsatz in Afghanistan haben wir zahlreiche Beispiele für eine völlig unterschiedliche Bewertung der Einsatzrealität durch Innen- und Außendienstler erlebt. Sie sind teilweise absurd, teilweise kurios, teilweise traurig. Einige wenige dieser Vorfälle möchten wir in diesem Artikel aufgreifen, um damit zum einen zu sensibilisieren und zu unterhalten, zum anderen aber auch unsere ernst gemeinte Forderung nach einer differenzierten Vergütung in Einsätzen zu unterstreichen.

Einschub Auf die Publikation oder anderweitige Verbreitung vorhergehender Versionen dieses Artikels gab es eine Unmenge an Reaktionen. Diese waren, wie in diesen Beiträgen selbst prognostiziert, nicht immer positiv. Daher gleich zu Beginn der Lektüre einige Vorbemerkungen bzw. Klarstellungen: (a) Wir beabsichtigen keine Abrechnung mit oder Rache an irgendjemandem. Unsere 200 Tage in Kunduz konnten wir im zusammenfassenden Rückblick als positive Erfahrung verbuchen und wir sind sehr stolz auf das Erreichte. In diesem Text geht es lediglich darum, ein von Teilen der Truppe wahrgenommenes massives Ungleichgewicht aufzuzeigen und einer Lösung näher zu bringen. Dass die Wahrnehmung einer ungerechten Behandlung ein Faktum ist, wird auf Seite 21 des Jahresberichtes 2011 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages bestätigt. (b) Keines der im Text angeführten Beispiele - so witzig, erschreckend oder unvorstellbar sie auch sein mögen - ist fiktiv. Jede einzelne Situation hat sich in unserem Einsatz genau so ereignet. (c) Niemandem soll unsere Meinung aufgedrängt werden. Wir akzeptieren selbstverständlich andere Ansichten und freuen uns über Diskussionen oder einen anders gearteten Meinungsaustausch.

Exemplarische Erlebnisse der dritten Art Eine uns in Erinnerung gebliebenes Episode ereignete sich Ende 2011 im District Headquarter (DHQ) Kunduz. Das DHQ ist ein ummauerter Bereich, in dem sich – voneinander baulich getrennt – ein Außenposten der Bundeswehr sowie einer der Afghan National Police (ANP) befinden. Obwohl sich vor Ort hinsichtlich der Lebensqualität während der zurückliegenden Kontingente mit Sicherheit schon einiges getan hat, entspricht dieser Außenposten auch heute nicht dem deutschen Standard. Wirklich nicht. Gerade in den Waschcontainern oder der Küche kommt es selbstverständlich zu Einschränkungen hygienischer Art. Nicht anders zu realisieren, wenn permanent mindestens 160 Angehörige der ISAF-Schutztruppe auf engstem Raum leben und von hieraus operieren. Trotzdem, so sehen es die Meisten, ein schöner Ort. Auch wenn von Privatsphäre absolut keine Rede sein kann. Die persönliche Belastung jedes Einzelnen in Hinblick auf die zeitliche und physische Beanspruchung ist zudem weitaus höher als im Feldlager, es gibt weder Radio noch Fernsehen und auch auf das kühle Bier zum »Feierabend« muss verzichtet werden. Denn erstens gibt es maximal Ruhephasen zwischen den Patrouillentätigkeiten und zweitens auch keinen Alkohol. Außerdem müssen wir sparsam mit Wasser umgehen, um über genügend für die persönliche Hygiene zu verfügen. Über den Füllstand eines Swimming-Pools müssen wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Wir haben keinen. Warum auch?! Trotzdem, wir wiederholen uns, ein schöner Ort. Weil man seine Ruhe hat und sich im Schwerpunkt auf seinen taktischen Auftrag konzentrieren kann. Jeder achtet auf seinen Bereich und gemeinsam hält man einen gewissen Maßstab an Ordnung und Sauberkeit. Einen, der den Ansprüchen an einen Außenposten in Afghanistan genügen sollte. Doch zwangsläufig kommt der Zeitpunkt, an dem auch »hier draußen« – scheinbar fernab nervender Bürokratie – eben diese Einzug hält. In diesem Fall präsentierte sich uns die »andere Sichtweise der Dinge« in Gestalt einer Veterinärin. Diese verlegte im Rahmen einer Versorgungsfahrt, mit der die Bestände an Wasser, Verpflegung und Munition wieder aufgefrischt werden, aus dem PRT ins DHQ. Vermutlich hatte sie den Auftrag, einen Blick auf die hygienischen Verhältnisse zu werfen. Der Anblick der Küche und des Waschbereichs sowie die Lagerung unseres Trinkwassers führten bei ihr dazu, dass sie, vereinfacht ausgedrückt, den ganzen Laden schließen wollte. Nur durch intensivsten Einsatz des verantwortlichen Kompaniechefs vor Ort, welcher mit Engelszungen versuchte, die Veterinärin für die Lebensverhältnisse draußen zu sensibilisieren, gelang es, eine Meldung zu verhindern und eine Folgebegutachtung zu ermöglichen. Wir können verstehen, dass der Besuch dieser Ärztin im Rahmen einer regelmäßigen Kontrolle vorgesehen war und durchgeführt werden musste. Wir glauben auch noch, dass sie keine grundlegend bösen Absichten hatte. Wofür wir aber kein Verständnis aufbringen können, ist das strikte Anlegen deutscher Hygienestandards an einen Außenposten in Afghanistan und der fehlende Blick für die Gesamtsituation im Einsatzland. Wir können uns oftmals des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Protagonisten gerne die Möglichkeit ergreifen, auf sich aufmerksam zu machen und ihren eigenen Stellenwert zu unterstreichen. So kommt es eben vor, dass eine Veterinärin einen der größten deutschen Außenposten in Afghanistan schließen möchte, weil u.a. die Trinkwasserflaschen nicht in unterschiedlichen Boxen mit den Aufdrucken »alt«, »mittel« und »neu« lagern. Ein weiteres Beispiel für den ausgeprägten Willen zur Selbstdarstellung vor dem Hintergrund eines überschaubaren Verständnisses für die Gesamtlage ist auch der Stabsfeldwebel, der nach einem scheinbar unterhaltsamen Abend im Lummerland (Betreuungseinrichtung im PRT) am nächsten Morgen sinngemäß folgende E-Mail versendete: „Habe gestern Abend meinen Ring im Lummerland verloren. Auf ihm steht »Liebe« und er sieht so und so aus. Sollte ihn jemand finden, bitte melden unter … ." Erstens hoffen wir natürlich, dass seine eigentliche Liebe fester ist als der Ring an seinem Finger, das soll hier aber nicht der Stein des Anstoßes sein. Das eigentlich Überraschende ist der Verteilerkreis, an den die o.a. E-Mail gerichtet war. Nämlich an alle. Lassen Sie uns das bitte wiederholen: AN ALLE! Nur um dies ins rechte Licht zu rücken: Jeder Rechner im PRT Kunduz, der Anschluss an das interne E-Mail System hat – bei fast 1.500 Deutschen im Feldlager sind das sehr viele Rechner – wird mit dem Problemchen des verlorenen Rings genervt. Aus Sicht des Stabsfeldwebels nachvollziehbarer Weise wahrscheinlich der Weg mit den besten Erfolgsaussichten, um langfristigen Peinlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Aus Sicht eines Chefs, der nach einer fordernden zweiwöchigen Raumverantwortung im Chahar Darreh mit seiner Kompanie erschöpft zurück ins Feldlager kommt, sich an seinen Computer setzt und von dutzenden Mails ähnlicher Dringlichkeit erschlagen wird, jedoch einfach nur unverständlich. Wir möchten an dieser Stelle deutlich unterstreichen, dass solch geartete E-Mails kein Ergebnis wochenlanger Recherche sind, sondern Tag für Tag jedes einzelne Postfach im Feldlager belasten. Und so gliedern sich die Meldungen liegen gelassener T-Shirts, verlorengegangener Basecaps, vertauschter Wäschebeutel, gefundener Kugelschreiber, zu verkaufender Kühlschränke und mit hoher Dringlichkeit versehene Nachrichten über ausbleibende Brötchenlieferungen fröhlich zwischen Meldungen über angesprengte Fahrzeuge und Beschuss eigener Truppe ein. Dies zeigt nicht nur die mangelnde Reflexionsfähigkeit Vieler in Bezug auf ihre eigene Person, sondern auch den völlig fehlenden Überblick über das, was einen Auslandseinsatz im Kern ausmacht und wohin alle gemeinsamen Anstrengungen zielen sollten. Hier läuft die Truppe tatsächlich Gefahr, zu entzweien. Das versehentliche Titulieren von Aufklärungs- und Angriffsoperationen als »Übung« ist auch immer wieder einen Lacher wert. Die Erinnerung an den eine Operation in Kunduz beendenden Funkspruch „Übungsende, Übungsende!" durch einen hochrangigen Offizier lebt u.a. in Patches mit dem Aufdruck »KÜZ – Kunduz Übungszentrum« weiter. Auch wenn es sich hierbei um menschliche und teilweise sympathische Versehen handelt, zeigt sich doch auch, wie abstrakt Vielen das erscheint, was außerhalb des Lagerzaunes vor sich geht. Weit verbreitet ist in Afghanistan die Pseudo-„Ich wäre ja selbst lieber draußen"-Rechtfertigung, die bei Bedarf auch gern in ein „Ihr habt es gut da draußen" abgewandelt wurde. Den Allerwenigsten haben wir diese Aussage abgekauft und wir sind uns sicher, dass sie beim abendlichen Telefonat in die Heimat auch nicht wiederholt wurde. Wenn die Feindlage im Distrikt sich noch in täglichen Scharmützeln mit Aufständischen dargestellt hätte, hätten sich wahrscheinlich auch weitaus weniger »Drinnies« zu solch waghalsigen Bekenntnissen uns gegenüber hinreißen lassen. Abgesehen davon hat man Sätze wie diese zu Kontingentbeginn – im Hochsommer – und bei vermehrtem IED(Improvised Explosive Device)-Aufkommen deutlich seltener vernehmen können. Eine weitere Eigenheit, die sowohl »Drinnies« als auch »Draußies« betrifft, unter deren Konsequenzen aber vorrangig die außerhalb der Lager Eingesetzten zu leiden haben, findet sich direkt im soldatischen Erscheinungsbild einiger Kontingentangehöriger: Bei vielen Soldatinnen und Soldaten hat sich die Mentalität entwickelt, ihr Aussehen möglichst einzigartig und martialisch erscheinen zu lassen. Dies gilt definitiv für viele »Kämpfer«, aber auch im Mikrokosmos des sicheren Feldlagers scheint die eigene Wichtigkeit oft nur durch Selbstdarstellung als im Eisenregen gestählter Endzeitkämpfer zu unterstreichen sein. Das beginnt mit dem dauerhaften Bekleiden mit farbigen Funktionsshirts, beschrifteten Breitbandlitzen und individuell »gepimpten« Waffen, geht über das selbstverständliche Tragen einer gegelten Haarhelm-Frisur, eines langen Rauschebartes sowie möglichst zahlreicher bunter Patches und endet beim gänzlichen Verzicht auf Hosengummis und echte Namensbänder. Der letzte Schrei sind zu einem Drittel hochgekrempelte Ärmel, Sportschuhe zum Feldanzug und unverschlossen getragene Smoks. Die Anzugsordnung der Bundeswehr wird hier offenbar nicht nur ausgereizt, sondern regelrecht ad absurdum geführt. Die Verstärkungskräfte der Task Force 47 dienen hierbei vielen Kameraden als Vorbild – in diesem Falle leider als sehr Schlechtes. Eine diese Thematik aufgreifende PowerPoint-Präsentation mit dem treffenden Titel »Markierungssatz für Blödmannsgehilfen« aus Mazar-E-Sharif (MES) ist bundeswehrintern im Umlauf und bescheinigt den jeweiligen Disziplinarvorgesetzten – so überhaupt vorhanden – die absolute Inkompetenz. Die sensibilisierten Kommandeure kämpfen gegen Windmühlen und wehren sich mit einer Befehlsgebung, die wiederum alle Soldatinnen und Soldaten in Mitleidenschaft zieht. In MES verläuft der Schnitt durch die Truppe offenbar noch etwas tiefer: Während die verstärkten Kampfkompanien der Task Force MES über Monate unter widrigen Umständen und fast ununterbrochen aus dem Außenposten OP NORTH in der nordafghanischen Provinz Baghlan operieren, genießen sehr viele andere die hervorragende Infrastruktur und die Vielzahl der Betreuungseinrichtungen und abendlichen Entertainment-Angebote innerhalb des Feldlagers. Sogar einen Schönheitssalon mit Angeboten zur Massage, Maniküre oder Pediküre gibt es hier mittlerweile. Dagegen gibt es im Grunde nichts einzuwenden, es muss sich aber niemand wundern, wenn diese Dekadenz diejenigen, die ganz anderes gewohnt sind, verstört oder erschreckt. Regelmäßig kehren Lehrgangsteilnehmer oder anderweitig Dienstreisende kopfschüttelnd nach Kunduz zurück. Der Spott von »Mallorca-E-Sharif« hat im »Kessel« Kunduz mittlerweile einen festen Platz.

Forderung nach bedrohungs- und belastungsgerechter Vergütung Die bis hier geschilderten Beispiele stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Merkwürdigkeiten und führen neben allgemeinem Amüsement in nachvollziehbarer Weise auch zur Verärgerung der kämpfenden Truppe. Die Rechtfertigung des einheitlichen Auslandsverwendungszuschlages (AVZ) aller bei ISAF eingesetzten Soldatinnen und Soldaten fällt dann auch nicht immer leicht. Nach wie vor gibt es in Afghanistan keine unterschiedlichen Vergütungskriterien zwischen den innerhalb und außerhalb des Feldlagers agierenden Soldatinnen und Soldaten. Der AVZ berechnet sich lediglich nach der generellen Bedrohungssituation im jeweiligen Einsatzgebiet. In Afghanistan gilt derzeit der Höchstsatz, was 110 Euro je Tag zusätzlich zum Grundgehalt bedeutet. Ein ordentlicher Batzen Geld! Aber ist die überwiegende Mehrheit der Deutschen im Feldlager Kunduz tatsächlich so gefährdet wie diejenigen, die tagtäglich durch den Unruhedistrikt Chahar Darreh patrouillieren, über verminte Straßen fahren und sich dabei Gefechten mit Aufständischen stellen? Für die der »Base Day« nur in der Theorie existiert und für die draußen ein striktes Alkoholverbot statt Amüsement bei »Schlagernacht«, »Skatturnier« und »Bingo« gilt? Die sich in Außenposten mit 0,5 Liter-Wasserflaschen duschen und das provisorische Urinal ausspülen, während sich im Feldlager darüber echauffiert wird, dass der Erholungsstrand »Kunduz Beach« auf Grund von Wasserknappheit vorübergehend nicht betrieben werden kann? Die in der Truppenküche lauthals geführten Diskussionen darüber beiwohnen, warum es nur Margarine und keine Butter gibt, während die eigenen Geschmacksnerven im DHQ anfangen, sich gegen den Verzehr von Einmannpackungen (EPA) zu wehren? Die sich Beschwerden über wackelnde Bildschirme aus dem Fachmedienzentrum gefallen lassen müssen, weil die Panzerhaubitze 2000 zur Unterstützung der eigenen Truppe Geschosssalven aus dem PRT feuert?! Wohl kaum! Es geht nicht darum, pauschal die innerhalb des PRTs eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in Misskredit zu bringen. Viele erkennen die Last der »Draußies« mittlerweile an und tun alles dafür, deren Leben erträglicher zu machen. Auch wenn sie zurecht im Schwerpunkt stehen, müssen auch »Draußies« gelegentlich aufpassen, dass ihnen dies bewusst bleibt und sie keine zu arrogante Haltung gegenüber allen anderen einnehmen. Insbesondere sollten sie sich vor Augen führen, dass im Hintergrund auch engagierte Personen tätig sind, deren Arbeit unzureichend gewürdigt wird und nicht alles was für sie getan wird als selbstverständlich hinnehmen. Es gibt zu den oben aufgeführten Ereignissen natürlich auch sehr positive Gegenbeispiele. Wir haben während unseres Einsatzes Spieße auf Patrouille, Materialbewirtschaftungsfeldwebel in Sicherungsstellungen, Pressestabsoffiziere im Dreck, in Scharfschützeninfiltrationen eingegliederte S6-Feldwebel und Schirrmeister, die entgegen allen Vorschriften Munition und Kraftstoff zur Truppe geführt haben, erlebt. Wir sind auf eine Unmenge von Kampfunterstützungskräften getroffen, die mit all ihrer Kraft darauf hingearbeitet haben, »die Sache« gemeinsam voran zu bringen. Ohne die Infrastruktur und die Unterstützung der »Drinnies« würde es außerhalb nicht funktionieren, auch das ist klar. Ebenso ist die Monotonie eines mehrmonatigen Lagerlebens nicht zu unterschätzen. Wird jedoch laut über unterschiedliche AVZ-Sätze diskutiert, um der Tatsache der deutlichen Belastungs- und Bedrohungsdifferenz auf diesem Wege Rechnung zu tragen, hat man schnell drei Viertel des Feldlagers gegen sich. Natürlich nachvollziehbar – es lässt sich ja erahnen, wer bei einer möglichen Umverteilung des AVZ den Gürtel finanziell enger schnallen müsste. Und warum riskieren, von heute auf morgen weniger in der Lohntüte zu haben? Über 50 gefallene und 250 [Stand: Mitte 2012] verwundete Deutsche in Afghanistan sollten an unterschiedlichen Gefährdungsgraden allerdings keine Zweifel lassen. Dass die Debatte um eine differenzierte Vergütung von hohen Amtsträgern unseres Deutschen Bundeswehrverbandes als „unkameradschaftlich" abgetan wird, lässt sich in Anbetracht der Fakten nur schwer nachvollziehen. Unkameradschaftlich?! Die Respektlosigkeit einiger »Drinnies« in Bezug auf unsere Kämpfer lässt sich kaum in Worte fassen: Als 2010 noch regelmäßig aus den »Raketendörfern« zwischen Isa Khel und Qandahari auf das PRT Kunduz gefeuert wurde, mussten die in Zeltburgen untergebrachten Angehörigen der Infanteriekompanien wieder und wieder in befestigte Unterkünfte flüchten. Zur nächtlichen Zeit hielten sie sich dabei oftmals in den Betreuungsräumen der betonierten Atrien auf. Offenbar zum Missfallen einiger Bewohner, die damit begannen, diese Räume zu verschließen. Doch damit nicht genug: Offenbar fühlte man sich durch das auf den nächtlichen Verschluss folgende »Rumlungern« in den Fluren, Duschen und Toiletten immer noch gestört und verschloss in der Folge sogar die Zugänge zu den Atrien. »Unkameradschaftlich« ist für solch ein Verhalten gar kein Ausdruck. Diese Kräfte sollten Ehrenspalier stehen, wenn die Truppe das Lager ins Feindesland verlässt! Übrigens tat sie das u.a. auch, um Stellungen mit Blick auf die »Raketendörfer« zu beziehen und den PRT-Bewohnern ruhigere Nächte zu bescheren. Dass die Türen der Atrien durch Angehörige der Kampfkompanien eingetreten wurden, um ins Innere zu gelangen, bedarf unserer Ansicht nach keinerlei Entschuldigung. Wer außerordentliche Härten und Entbehrungen in Kauf nimmt und täglich unmittelbar sein Leben riskiert, hat eine höhere Vergütung verdient. Die Grenze hierfür ist in heutigen Einsätzen nicht mehr an der Truppengattungszugehörigkeit festzumachen, da nicht nur Panzergrenadiere und Infanteristen, sondern u.a. auch Sanitäter, Artilleristen, Fernmelder, Pioniere und Aufklärungskräfte ihren Dienst weit außerhalb des Lagerzaunes versehen. Argumente, die eine »Zweiklassengesellschaft« oder die praktische Unmöglichkeit der Umsetzung einer solchen Maßnahme prophezeien, halten einer objektiven Betrachtung nicht stand. Armeen anderer Nationen – im Afghanistaneinsatz z.B. die Belgier – zeigen, dass eine unterschiedliche Vergütung funktioniert! Wer uns generellen Lobbyismus vorwirft, ist herzlich eingeladen, seine Gefechtsausrüstung anzulegen und mit unserer Kompanie eine abgesessene Tagespatrouille im nördlichen Chahar Darreh durchzuführen. Mit 50 kg Ausrüstung und bei über 50 Grad Außentemperaturen stellt dies unter Feindbedrohung mit Sicherheit ein heilsames Erlebnis dar! Die erfreulicherweise 2010 unter dem damaligen Bundesminister der Verteidigung Karl-Theodor zu Guttenberg eingeführte Einsatzmedaille Stufe »Gefecht« stellt eine hohe Anerkennung und zumindest ein symbolisches Alleinstellungskriterium für die kämpfende Truppe dar. Bei vernünftiger Auslegung des Stiftungserlasses fallen allerdings auch Viele durch das Raster, die im Einsatz unter hoher persönlicher Gefährdung agiert haben. Taktisches Verhalten, das zur Unterdrückung von Feindangriffen führt oder das Auffinden von IEDs werden nicht belohnt, da sie keine Gefechtshandlungen im Sinne des Erlasses darstellen. Die »Ansprengung« eines Fahrzeuges hingegen führt zur Zuerkennung der Medaille für die jeweilige Besatzung. In gewisser Weise ein Dilemma, das gerüchteweise bereits dazu führte, dass gegen Einsatzende stattfindende Versorgungsfahrten mit allerlei Kontingentangehörigen Feindfeuer auf eigene Kräfte gemeldet haben, was die Verleihung der Gefechtsmedaille für alle in das Marschband eingegliederten Personen nach sich zog. Moralisch verwerflich, wenn man bedenkt, dass noch 2010 in Kunduz schwere Gefechte mit vielen verwundeten und toten Deutschen stattfanden. Hieran zeigt sich aber auch, dass es einer anders gearteten Anerkennung der höher gefährdeten Truppe bedarf. Dass die Einsatzdauer der Task Forces in aller Regel mehr als sechs Monate – ohne Urlaub – gegenüber den ansonsten üblichen vier Monaten beträgt, wird mittlerweile überall wie selbstverständlich hingenommen. Diese Regelung wollen wir auch nicht in Frage stellen, da es hierfür plausible taktische Gründe gibt. Sie zeigt nur einmal mehr die höhere Belastung dieser Soldatinnen und Soldaten. Dass das Thema nicht neu ist und auch in anderen Streitkräften fokussiert wird, zeigt nicht nur das provokante Eingangszitat dieses Beitrages, sondern auch ein exemplarischer Blick auf unsere US-amerikanischen Verbündeten. Hier werden Soldatinnen und Soldaten, die selten oder niemals die relativ sicheren Forward Operating Bases (FOBs) verlassen – angelehnt an die Hobbit-Figur J.R.Tolkins – scherzhaft als FOBbits bezeichnet. Ärgerlich ist, dass die Debatte um eine differenzierte Vergütung vor einigen Monaten bereits deutlich weiter vorangeschritten war und dann ohne zu einem konkreten Ergebnis gelangt zu sein, abgeebbt und schließlich im Sande verlaufen ist. Auch in der Reform unserer Streitkräfte blieb sie offenbar unberücksichtigt. In öffentlichen Medien poppt sie immer wieder vereinzelt auf. Gerade Journalisten sind immer wieder überrascht zu erfahren, dass in Afghanistan unabhängig vom Dienstposten bzw. der Tätigkeit ein einheitlicher AVZ gezahlt wird. In der »Zeit« erschien beispielsweise ein Artikel von Hauke Friederichs mit dem Titel „Die Kämpfer schimpfen auf die Lagerbürokraten". Zuletzt wurde die »Drinnie«-Thematik von Dr. Eric Chauvistré und Christoph Bangert in ihrem in der Januar 2012-Ausgabe der »NEON« erschienenen Beitrag „Auf Montage" angerissen. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, hat in seinem am 24. Januar 2012 erschienenen 53. Jahresbericht unter „4.7 Auslandsverwendungszuschlag" eine „besorgniserregende Dimension" der Diskussion und ein „Gefühl massiver Ungleichbehandlung angesichts gleicher Vergütung aller Kontingentangehöriger für ungleiche Belastungssituationen" festgestellt und sieht dringenden Handlungsbedarf. Seiner Ansicht nach ist auf politischer Ebene zu prüfen, in wie weit beispielsweise die Möglichkeit der höheren Anrechnung von Einsatztagen außerhalb von Feldlagern auf die Gesamtdienstzeit besteht, womit ein immaterieller Ausgleich für die unterschiedlichen Belastungen und Bedrohungen geschaffen wäre. Zwei Vorläuferversionen unseres Beitrages [...] haben zahlreiche Echos hervorgerufen. Auch wenn die Reaktionen nicht immer zustimmend und teilweise sehr unbequem waren, hat uns das gefreut und wir haben Ideen und Anregungen aufgenommen. Diese haben auch bei uns zu einer differenzierteren Betrachtung geführt, von der die Kernaussage des Artikels jedoch unbenommen geblieben ist. Diese Kernaussage vertreten wir übrigens im vollen Bewusstsein darüber, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach den allergrößten Teil der noch vor uns liegenden Dienstzeit selbst im Innendienst verbringen werden. Uns ist dabei durchaus bewusst, wie schwierig es ist, Gerechtigkeit in dieser Thematik zu finden und dass es in der praktischen Umsetzung eine Vielzahl an Fragen zu klären gäbe, um den »sozialen Frieden« innerhalb der Bundeswehr zu wahren. Ziel dieses Artikels ist es jedoch, ein bestehendes bzw. ein durch Teile der Truppe wahrgenommenes Ungleichgewicht aufzuzeigen und weitere Diskussionen hierüber anzuregen, in deren Ergebnis möglicherweise pragmatische Lösungsansätze stehen. Dass diese nicht nur materieller, sondern durchaus auch anderer Natur sein können, ist dabei unbestritten. Mit diesem Beitrag wollen wir weitere Thesen zur einsetzenden Kontroverse beitragen. Es liegt auch an der Truppe selbst, die Debatte anzureichern und weiter voran zu treiben. Den eigenen Standpunkt klar zu machen, zu diskutieren und immer wieder zur Sprache zu bringen. Bei Truppenbesuchen, bei Politischen Bildungen, auf Lehrgängen, vor Politikern und Journalisten, auf Symposien und in schriftlichen Beiträgen.

Epilog Das eingangs geschilderte Beispiel hatte natürlich noch ein kleineres, inoffizielles Nachspiel. Ein nach dem Vorfall geführtes Gespräch zwischen dem Feldlagerkommandanten und dem Bravo-Zugführer fand auf die Nachfrage des Zugführers, ob sein Gegenüber noch immer diese Ansicht vertreten würde, wenn er „draußen in seiner eigenen Suppe läge und die Reserve benötigen würde", allerdings ein abruptes Ende. Hier gingen auch diesem die Argumente aus. Als der Rückflug von einer Erkundung in Afghanistan anstand, saßen wir am Airfield in Termez, Usbekistan dicht gedrängt mit anderen Soldaten in einem Bus, der uns zum Flieger Richtung Heimat brachte. Die Euphorie des anstehenden Fluges nach Hause war spürbar und alle unterhielten sich wild durcheinander. „Das ist ja die Hölle hier drin", beschwerte sich einer der Mitfahrer, „das ist hier so warm, das ist das Schlimmste vom ganzen Einsatz". „Ach ja?", entgegneten wir, „schon mal Marder in Afghanistan gefahren?". Dass auf unseren Schützenpanzern in den Sommermonaten Temperaturen von bis zu 80 Grad Celsius herrschten, war den meisten Anwesenden offenbar geläufig. Im Bus herrschte bis zur Ankunft am Flugzeug jedenfalls betretenes Schweigen.

 

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Autoren: Marcel Bohnert, Friedrich Schröder

erschienen in: Zu gleich. Zeitschrift der Artillerietruppe, Ausgabe 2/2011, Seiten 5 bis 12

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